Während andere Weingläser schwenken, setzt Christian Vincke das Messer an. Im deutschen Münsterland züchtet er Ibericos, die edelste Schweinerasse der Welt. In Graz ließ er sich zum Fleischsommelier ausbilden.
Den Begriff „Sommelier“ kennt man in Zusammenhang mit Wein. Aber was ist ein Fleischsommelier?
Ich denke, dass jeder den Begriff Fleischsommelier etwas anders definiert. Zusammengefasst gilt aber, dass hinter jedem Stück Fleisch eine genauso lange Geschichte und Prozesskette steckt wie beim Wein. Deshalb gilt es, dem Verbraucher näherzubringen, was alles dazugehört, um ein gutes Stück Fleisch zu produzieren. Das fängt beim witterungsbedingten und standortabhängigen Futteranbau an, geht über die Wahl der Rasse und innerhalb dieser um die Züchtung. Weiter geht es mit der Art der Haltung, die mittlerweile sehr vielfältig ist. Es geht um den Transport und die Schlachtung – beides möglichst schonend und stressfrei mit kurzen Wegen. Es geht auch um die Fleischreife, wo Zeit genau wie beim Wein eine zentrale Rolle spielt. Alles Faktoren, die der Verbraucher kennen sollte und die wir Fleischsommeliers auf kulinarisch spielerische bzw. unterhaltsame Art und Weise vermitteln. Damit am Ende der Verbraucher wählen kann, was er isst. Dann wird er es bewusster tun und auch bewusster einkaufen.
Wie kommt man als Iberico-Züchter aus Deutschland dazu, sich in der Steiermark zum Fleischsommelier ausbilden zu lassen?
Das ist relativ einfach. Wir spielen mit dieser Schweinerasse in der Champions League, mehr an Geschmack lässt sich aus Schweinefleisch nicht herausholen. Das spiegelt sich natürlich auch im Preis wider. Und weil wir in der ganzen Kette der Erzeugung die höchsten Ansprüche an uns selbst stellen, war es die logische Konsequenz, für die Ausbildung nach Graz zu reisen. Denn das WIFI Steiermark genießt diesbezüglich einen sehr guten Ruf und man darf am Ende den international anerkannten Diplomtitel führen. Das gibt es in dieser Form in Deutschland nicht. Des Weiteren ist ein sich stetig erweiterndes Netzwerk in diesem Bereich und über Ländergrenzen hinaus unbezahlbar und hilfreich für die Zukunft.
Wie profitieren Sie und Ihre Kunden von der Ausbildung am WIFI Steiermark?
In erster Linie profitiere ich persönlich von dem Kurs. Dieses gesammelte Wissen kann ich in Gesprächen mit Kunden einbringen und so zum Überdenken des eigenen Handelns anregen. Außerdem hilft es mir ein Stück weit, auf Augenhöhe mit guten Metzgern und Produzenten aus dem verarbeitenden Gewerbe zu kommunizieren. Es wäre anmaßend zu sagen, dass ich in dem Bereich vollständig auf Augenhöhe wäre, denn dazu gibt es nach wie vor den Titel des Meisters und dazu gehört weitaus mehr als der Titel Fleischsommelier. Allerdings merken viele Leute nun, mit welcher Ernsthaftigkeit und Leidenschaft ich an diese Sache herangehe. Des Weiteren gibt es vermehrt Anfragen für Seminare und Podiumsdiskussionen, die ich zu dem Thema abhalten soll. Nach meinem Kenntnisstand bin ich einer von wenigen, wenn nicht der einzige Dipl. Agraringenieur und Dipl. Fleischsommelier in Deutschland.
Ihre Schweinezucht ist ein vielfach ausgezeichneter Vorzeigebetrieb für artgerechte Haltung. Wieso ist Ihnen ein ethisch verantwortungsvoller Umgang mit den Tieren so wichtig?
Ich habe einfach in der Vergangenheit gesehen, dass wir langfristig in eine Sackgasse laufen. Die Produktionseinheiten werden größer, weil die Marktmacht und der damit verbundene Preisdruck immer größer werden. Das wird nicht ewig so weitergehen können, ohne dass Mensch, Tier und Natur darunter leiden. Also muss man weniger und hochwertiger produzieren. Zu einer Rasse in der Königsklasse gehört halt auch die Haltung auf diesem Niveau.
Leider nimmt die Wertschätzung in der Produktionskette hin zum Verbraucher immer weiter ab. Müsste Fleischgenuss nicht eigentlich Luxus sein?
Das müsste es definitiv und genauso sicher bin ich, dass es das auf lange Sicht werden wird. Das wird ein kleines Puzzlestück beim Bewältigen unserer gesellschaftlichen und weltpolitischen Aufgaben sein. Mit der Rasse Iberico haben wir uns auch ganz bewusst im Premiumsegment angesiedelt. Nur über diesen Weg kann es in meinen Augen gelingen, dass auch die konventionelle Haltung ein Stück weit in diese Richtung schwenkt, sich neu positioniert und dementsprechend auch vom Handel und dem Verbraucher honoriert wird.
Der Großteil der Konsumenten kauft immer noch Fleisch aus Massentierhaltung. Wo muss ein Umdenken anfangen: Beim Verbraucher, der Politik oder den Bauern?
Ich kann nur einige meiner Vorbilder aus der deutschen Gourmetszene zitieren: „Schuld ist der, der es kauft.“ Insofern ist es in erster Linie immer der Verbraucher, der etwas ausrichten kann. Würde es nicht gekauft werden, würde sich auch kein Erzeuger darauf ausrichten. Der Verbraucher sagt und fordert zwar in öffentlichen Umfragen immer viel, das anonyme Kaufverhalten im Laden spricht aber leider oft eine gegenteilige Sprache. Man muss sich vor Augen führen, dass man jeden Tag im Supermarkt die Wahl hat. Gehe ich nicht hin, sondern zum Bauern in der Nachbarschaft, ist das auch eine bewusste Entscheidung. Gehe ich dorthin und kaufe ein höherwertiges Produkt und machen dies zukünftig 90 % der Konsumenten, wird das Billigprodukt langsam verschwinden. Die Politik hingegen sollte meiner Meinung nach wenig in die Marktwirtschaft eingreifen, am besten gar nicht. Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter und sage: Schafft die Subventionen für die Landwirtschaft ganz ab, denn dadurch werden künstlich Lebensmittelpreise niedrig gehalten und eigentlich wird der Verbraucher subventioniert. So ist immer die Landwirtschaft für alle der ausgemachte Sündenbock. Es gibt aber mittlerweile zahlreiche Beispiele von Landwirten, die sich neue Wege suchen und andere Märkte erschließen. Es passiert was auf allen Ebenen. Politik sollte dafür sorgen, die Marktmacht von mittlerweile nur mehr vier großen Ketten in Deutschland stark einzuschränken. Aber auch hier wieder die Frage an den Verbraucher: Wer hat denn diese Ketten mit welchem Geld so groß werden lassen?

Der Konsument erkennt gutes Fleisch spätestens am Geschmack. Woran erkennt es ein Fleischsommelier?
Der Fleischsommelier wie auch jeder Konsument erkennt gutes Fleisch daran, dass der Verkäufer ihm die meisten seiner gestellten Fragen beantworten kann. Spielen Sie immer das Beispiel Wein durch. Wir gehen davon aus, dass die Tierart schon mal bekannt ist, welche Sie kaufen wollen. Sie wissen ja schließlich auch, ob es sich um einen roten oder einen weißen Wein handeln soll. Bleibt abzuklären, um welche Rasse es sich handelt, welche Haltungsbedingungen herrschen, wie und womit das Tier gefüttert wurde. Und am besten noch bei welchem Bauern es groß geworden ist. Bestnoten gibt’s dann für die Zusatzfragen, wenn der Verkäufer auch noch beantworten kann, wie alt das Tier ungefähr geworden ist und wie es getötet wurde. Da ihre Frage aber wahrscheinlich eher auf die Sensorik zielte, werde ich auch darauf noch kurz eingehen. Ganz generell kann man eines sagen, egal ob Schwein oder Rind: Je dunkler die Fleischfarbe des Stückes, desto älter ist das Tier geworden beziehungsweise desto langsamer ist es gewachsen. Man sollte auf eine schöne Marmorierung achten, damit man gute Koch- und Brateigenschaften hat, sprich das Stück in der Pfanne und auf dem Grill saftig bleibt. Scheuen Sie kein Fett! Das Fett ist in der Regel sogar um 10 % kalorienärmer als der bekannteste Schokoladenbrotaufstrich und sorgt dazu für enormen Geschmack.
Generell raten Experten dazu, den Fleischkonsum zu reduzieren. Wie sehen Sie das?
Absolut einverstanden. Die Qualität rauf, Quantität runter. Anders wird es auf lange Sicht nicht funktionieren.
Was halten Sie von veganen Fleischersatzprodukten?
Ich habe weder was gegen Veganer noch gegen vegane Produkte, jedoch finde ich die Produktbezeichnungen der so genannten Fleischersatzprodukte teilweise grotesk. Das Wort „Fleischersatzprodukt“ allein ist ja schon ein Widerspruch in sich. Es kann sich doch jeder vegan und auch vegetarisch ernähren, aber weswegen muss es dann vegane Wurst heißen? Wir sollten die gegenseitigen Essgewohnheiten respektieren. Das gilt nicht nur für die Fleischesser, sondern eben auch umgekehrt. Ich halte viele Essgewohnheiten für modische Erscheinungen, die wir uns in unserer Wohlstandsgesellschaft leisten können und über die sich einige definieren möchten, weil es sonst in vielerlei Hinsicht schwierig geworden ist, aus der Masse hervorzustechen, und ich denke, manchmal ist es auch einfach nur die pure Langeweile und auch Wichtigtuerei.
Die Preise solcher Ersatzprodukte liegen oft weit über dem tierischen Original. Ist das nicht absurd?
Ja, sehr, und man sieht wie beschränkt einige Leute sind. Der sogenannte Analogkäse war verpönt und verteufelt. Er war, glaube ich, sogar leider noch günstiger als normaler Käse aus Milch. Seitdem dieser Käse, der vorher als Laborkäse oder Chemie baukasten tituliert wurde, jetzt veganer Käse heißt oder noch tollere Fabelnamen bekommt, die sich eine clevere Marketingagentur ausgedacht hat, laufen die Dinger wie doof! Das zeigt zum einen, dass ein Großteil dieser Zielgruppe gerne Geschichten hört und wenig bis gar nicht hinterfragt und zum anderen wohl gerne auf den Arm genommen wird.

Die Grillsaison ist in vollem Gange: Gibt es ein paar typische Fehler, die beim Fleisch häufig gemacht werden?
Grobe Fehler fallen mir spontan nicht ein. Außer wenn jemand sein Discounterfleisch auf seinen 2.000-Euro-Grill legt, dann stehen mir die Haare zu Berge. Frauen, die kein Bauchfleisch essen, aber auf völlig überteuerte Grillfackeln abfahren, finde ich gelegentlich auch strange. Ansonsten gibt es kein richtig oder falsch. Richtig ist, was schmeckt. Ob vom Gas-, Elektro- oder Holzkohlegrill. Jeder soll seine Erfahrungen machen und daran wachsen. Aber bitte immer mit einem guten Ausgangsprodukt.
Quelle: WP von 80 Kulturzeitung